PM: Baden am Rosdorfer Baggersee sollte legalisiert werden

Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung setzt sich für eine Legalisierung des Badebetriebs im Südteil des Rosdorfer Baggersees ein, begrüßt jedoch auch die Kontrollen der Polizei am See und fordert, dass diese häufiger stattfinden – vor allem an heißen Wochenenden. Das Nichteinhalten von Corona-Abstandsregeln, illegales Parken, offenes Feuer in der freien Landschaft, laute Musik, Mopedfahren und das Hinterlassen von Müll werden von der Polizei zu Recht geahndet. Die Kontrollen sollten allerdings nicht nur bei ungünstigem Wetter wie im Juli durchgeführt werden.

Außerdem fordert das Bündnis die Behörden auf, die Beschränkung der Zahl der Badegäste in den Freibädern zu lockern. Das dichte Gedränge auf den Liegewiesen wurde dadurch nicht verhindert, es hat sich nur verlagert. Am Rosdorfer Baggersee drängen sich seit Juni an heißen Wochenenden tausende Badegäste auf engem Raum. Obwohl der See groß ist, sind die Liegeplätze knapp. Hinzu kommt, dass das Baden im Nordbereich gefährlich ist und es kein Ziel sein kann, dass Menschen sich deswegen dort aufhalten, weil es im Südbereich zu voll ist.
Während die neuen Schwimmrichtungsregeln im Freibad sehr gelobt werden, sollten die Zugangsbeschränkungen nicht zu eng gefasst sein. Die Abstände lassen sich besser einhalten, wenn sich der Badebetrieb gleichmäßiger auf die verschiedenen Angebote verteilt.

“Ob die jungen Leute am Rosdorfer Baggersee oder im Freibad Handtuch an Handtuch liegen, macht keinen Unterschied. Wir sehen ja, dass das Gedränge am Baggersee monatelang nicht zu erhöhten Corona-Infektionen geführt hat. Daraus kann man auch die Konsequenz ziehen und die Freibäder für mehr Besucher freigeben, damit sich der Badebetrieb wieder gleichmäßiger verteilt”, fordert Francisco Welter-Schultes, Sprecher des Bündnisses.
“Die Behörden müssen Lernprozesse durchmachen und zunehmend genauer hinschauen, wo Menschen sich infizieren und wo nicht. Private und öffentliche Wirtschaft dürfen nicht eingeschränkt werden, wenn es nachweislich keinen Grund gibt. Auf kommunale Einnahmen kann in den Freibädern nur dann verzichtet werden, wenn es wirklich notwendig ist.”

Das Baden ist am Rosdorfer Baggersee offiziell verboten. Verstöße gegen das im Südbereich sinnfreie Badeverbot werden aber nicht verfolgt, was das Bündnis ausdrücklich begrüßt. Eine Kontrolle würde Leben auf Spiel setzen, wenn erschöpfte Badende sich nicht trauen, beim Anblick der Polizei ans Ufer zu schwimmen. Das Hauptproblem sind die fehlenden Toiletten – schon alleine deswegen sollte vermieden werden, Freibadbesucher an den Baggersee abzudrängen.

“Der Baggersee ist ein wunderschöner Badesee, der gut mit dem Fahrrad erreichbar ist und einen wichtigen Standortfaktor für die Universitätsstadt darstellt. Die gesetz- und verantwortungslose Wildwest-Situation am See sollte beendet und in geordnete Bahnen gelenkt werden. Insbesondere sollten dort mobile Toiletten aufgestellt werden”, so Welter-Schultes.

Im Südbereich ist es nur deswegen verboten, weil die Behörden keine Lust haben, ihrer Verantwortung nachzukommen. Hierzu würde auch eine Überwachung der Hygiene gehören – das Gesundheitsamt lehnte dies bislang leider kategorisch ab. Deutlich mehr Verantwortung zeigen seit 2 Jahren ehrenamtlich tätige Bürger wie Carsten Bromm aus Rosdorf, die dort seit Jahren helfen, den Müll zu entsorgen [1]. Für diese Arbeit wäre eine Bezahlung angemessen, Müllentsorgung durch Ehrenamtliche ist ein Armutszeugnis für den Landkreis.

Rechtliche Situation am Rosdorfer Baggersee

Die Behörden schweigen sich zur rechtlichen Situation am Baggersee weitgehend aus, zuweilen wird
irreführend von Privatgelände gesprochen. Die freie Landschaft ist fast überall Privatgelände – und
das Betreten der freien Landschaft zu Erholungszwecken ist bundesweit allen gestattet [2]. Erlaubt ist
der Aufenthalt am Seeufer, nicht jedoch die Zerstörung von Uferbewuchs wie Schilf. Toleriert werden
Fahrräder, jedoch keine motorisierten Fahrzeuge. Badegäste müssen sich zudem von den baulichen
Betriebsanlagen fernhalten. Das Badeverbot lässt sich nicht durchsetzen und ist wirkungslos.

Seit Jahren gibt es Forderungen, im Südteil das Baden zu legalisieren und mit der Klosterkammmer
Hannover eine entsprechende Vereinbarung zu treffen, die Kiesabbaufirma dort aus der Pacht zu
entlassen. CDU und Piraten hatten im Landratswahlkampf 2016 entsprechende Vorverhandlungen
geführt, die leicht einen Weg in die Legalität hätten bringen können, einschließlich mobiler Toiletten.
Leider haben SPD und Grüne bislang auf stur gestellt, sie halten am Badeverbot fest.

EU-Richtlinie wird vom Gesundheitsamt nicht befolgt

Das Hauptproblem am See – bei aller Wildwest-Romantik – ist bei zu hohen Besucherzahlen die
mangelnde Hygiene. Die Fäkalienbelastung ist an heißen Tagen so hoch wie auf einem Autobahnparkplatz ohne Toiletten. Die Behörden müssten nach einer EU-Vorschrift (der EU-Badegewässerrichtlinie) eigentlich die Gewässerqualität überwachen, was jedoch trickreich mit dem
wirkungslosen Badeverbot umgangen wird.

Überprüft wird die Hygiene an einsamen Teichen im Südharz (was dort private Betreiber bezahlen
müssen) – aber genau am dem See, wo eine Untersuchung auf Fäkalienverunreinigung notwendig
wäre, wird die Gewässerqualität nicht überprüft. Leider ist Brüssel nicht in der Lage, die Einhaltung
von EU-weiten Vorschriften gegen unwillige Behörden vor Ort durchzusetzen. Es gibt Online-
Beschwerdetools, wo Eingaben in einem Sumpf von Bürokratie und Handlungsunfähigkeit versickern.
Europa funktioniert, wie dieses Beispiel zeigt, bis heute nicht besser als das Chinesische Kaiserreich.

Quellen

[1] HNA 28.08.2015
https://www.hna.de/lokales/goettingen/rosdorf-ort84594/baggersee-carsten-macht-seit-jahren-immer-sauber-5420167.html

[2] Bundesnaturschutzgesetz § 59 (1): “Das Betreten der freien Landschaft auf Straßen und Wegen sowie auf ungenutzten Grundflächen zum Zweck der Erholung ist allen gestattet (allgemeiner Grundsatz).”
https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__59.html


Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung (Der Vorstand)
Francisco Welter-Schultes, Lukas Flinzberger, Erika Lohe-Saul, Werner Schulze

PM: Jürgen Trittin zu Gast beim BfnS und S4F

Ohne einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien werden wir keine zukunftsfähigen Strategien im Klimaschutz entwickeln können. Leider droht deren Ausbau derzeit faktisch zum Stillstand zu kommen.”

So charakterisierte der ehemalige Umweltminister die derzeitigen Bemühungen um eine Energiewende in Deutschland und Europa in einer gemeinsamen Skype-Konferenz mit dem Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung sowie der Göttinger Gruppe von Scientists for Future. Mit dabei waren auch mehrere Ratsabgeordnete, darunter Edgar Schu (Göttinger Linke) und Francisco Welter-Schultes (Piraten).

Trittins Einschätzung bezog sich dabei auch auf den Göttinger Klimaplan 100%, der einerseits von einer Halbierung des Primärenergieverbrauchs bis 2050 ausgeht, aber auch von einer Steigerung des Stromanteils auf 80%.

In wie weit der neue Klimaplan 2030 dieser Perspektive folgen wird, stehe dahin. Jedenfalls folgte Werner Schulze, energiepolitischer Sprecher vom BfnS, einer Studie des Fraunhofer Instituts ISE, die der kombinierten Nutzung von landwirtschaftlichen und Photovoltaikflächen ein außerordentlich großes Potential einräume. Agrophotovoltaik- systeme (APV) sind hoch aufgebaute Solarmodule, unter denen Nutzpflanzen angebaut werden können. Sie bieten die vielversprechende Möglichkeit, hohe Mengen an Strom regional und spitzenlastfähig zu erzeugen, ohne die Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung nehmen zu müssen. Auch für den Göttinger Raum sollte diese Möglichkeit genutzt werden. Bislang werde sie nur in Pilotprojekten eingesetzt. Rechtliche Hürden und veraltete Förderrichtlinien gehörten zu den Hauptproblemen der relativ neuen Technik.

Trittin wandte sich in diesem Zusammenhang gegen das faktische Verbot von Freiflächenanlagen und beurteilte das Ergebnis der Pilotprojeke im Grunde als positiv, wenn auch als „sehr optimistisch“, und bezeichnete eine ausgewogene Kombination von Wind- und Solarstrom als unverzichtbar. Augenscheinlich besteht hier ein weites Feld für streitbare Fragen und Antworten – nicht nur für Göttinger Klimapläne.

Unstrittig ist hingegen der weltweit rasant beschleunigte Ausbau von elektrischer Leistung aus Wind- und Solarkraftwerken. Entsprechend wächst auch die Nachfrage nach Solarmodulen. Auf die Frage nach einer Herstellung dieser Produkte im eigenen Land, wies der prominente Gast darauf hin, dass deren Produktion vor etwa 15 Jahren von Deutschland nach China verlagert worden sei, was nach Ansicht Trittins neben einer geschickten Subventionspolitik Chinas und einer wenig innovativen deutschen Industrie auch mit einer verfehlten Energiepolitik verschiedener Merkel-Regierungen zu tun hatte, vor allem der CDU/FDP-Regierung nach 2005. Diese Fehler kosteten in Deutschland etwa 100.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze hauptsächlich in der Solarbranche. Trittin würde es begrüßen, wenn Europa wieder eine eigene Produktion von Solarmodulen entwickeln könnte. APV-Anlagen über landwirtschaftlichen Flächen könnten dazu beitragen, diese Nachfrage nachhaltig zu erhöhen.

Beide Göttinger Gruppen interessierten sich für die Haltung der Grünen zum Thema Wasserstoffnutzung, einer weiteren zukunftsfähigen Technologie. Hier stellte Trittin deutlich heraus, dass für ihn eine Nutzung von Wasserstoff nur dann in Frage komme, wenn dieser mit erneuerbaren Energien erzeugt werde (grüner Wasserstoff). Auf die kritische Nachfrage, dass man dem Produkt seine Herstellungsmethode ja nicht ansehen könne, Wasserstoff derzeit sehr CO2-intensiv unter Einsatz von Erdgas hergestellt werde und wie man in einem freien Markt erreichen könne, dass nur grüner Wasserstoff gehandelt werde, verwies Trittin auf die Möglichkeit von CO2-Zertifikaten und öffentlichen Vergütungssystemen. Der Grünen-Abgeordnete musste jedoch zugestehen, dass eine starke Lobby andere Interessen vertritt, vor allem in der Erdgasbranche, die nichts mit Klimaschutzgedanken zu tun haben.

In der Vereinbarung von Paris 2015 hat sich Deutschland darauf verpflichtet, die Erhöhung der Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad zu halten und dass darüber hinaus „Anstrengungen unternommen“ werden sollen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Auf die Frage, ob in diesem Sinne die Abschaltung der Atomkraftwerke gemäß dem Atomgesetz vom 31. Juli 2011 nach dem Vertrag von Paris völkerrechtlich zulässig sei, antwortete Trittin mit einem klaren „Ja“. Deutschland könne ohne Verstoß gegen das Klimaschutzabkommen seine Atomkraftwerke wie geplant abschalten. Nach Ansicht von Trittin wird Atomkraft vollständig überbewertet. Global betrachtet wird nur etwas über 4 % der Energie mit AKW gewonnen. Wer wie die FDP darauf setze, lande unter der 5-Prozent-Hürde. Atomkraft spiele für die Reduktion der CO2-Emissionen auch in Zukunft keine Rolle.

Trittin warnte, dass sogar das 2-Grad-Ziel durch Deutschland kaum erfüllt werde. Da Deutschland im Vergleich mit vielen anderen EU-Staaten einen enorm hohen Pro-Kopf-Verbrauch habe, seien eigentlich CO2-Reduktionsforderungen an Deutschland bis 2030 in Höhe von 70 % anstelle von 55 % gerechtfertigt. Es gelte weiter den Fokus auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu legen.

Ein weiterer klimaschutzpolitischer Schwerpunkt liegt im Themenfeld Verkehr. Gerade in diesem Sektor haben Kommunen einen besonders großen Handlungsspielraum, den sie nach Ansicht der Anwesenden nicht ausreichend nutzten.

In Göttingen fielen 28 % des treibhausgasintensiven Energieverbrauchs im Sektor Verkehr an, so BfnS-Sprecher Francisco Welter-Schultes, wobei zu beobachten sei, dass die SPD-regierte Stadt trotz präziser Zielsetzungen überhaupt keine Bemühung zeigt, zu einer Verkehrsreduktion zu kommen und sich sogar beharrlich weigert, überhaupt zu messen, wie sich die Emissionen im Lauf der Jahre entwickeln. Nach Einschätzung von Welter-Schultes habe der Autoverkehr in Göttingen in den letzten Jahren nicht nur zahlenmäßig zugenommen, sondern die Autos seien auch immer breiter, voluminöser und schwerer geworden. Auch der Lkw-Verkehr habe enorm zugenommen.

Jürgen Trittin stimmte darin zu und bemängelte, dass nicht nur in Göttingen, sondern überall in Deutschland alles, was in anderen Sektoren an Energie und Treibhausgasen eingespart werde, durch gegenläufige Entwicklungen im Verkehrssektor wieder konterkariert werde.

Trittin hierzu: “Wenn wir in eine Regierung reingehen, dann werden wir Wert darauf legen, an den für den Klimaschutz entscheidenden Positionen Verantwortung zu übernehmen. Wir werden das Thema Verkehr nicht vernachlässigen. In jedem Fall werden wir Tempolimits fordern, was in Deutschland eine kleine kulturelle Revolution wäre, ähnlich wie wenn man den US-Amerikanern die Waffen abnehmen würde.”

Die Beobachtung des BfnS, dass in Göttingen in den letzten Jahren so gut wie nichts für den Radverkehr getan wurde, illustrierte Trittin mit einer Zahl aus Berlin: etwa 25 % der Fahrleistung werde dort vom Fahrrad erbracht, wofür nur 4 % der Verkehrsfläche zur Verfügung stünden. Das BfnS leitet daraus für Göttingen Forderungen ab, Fahrspuren dem Autoverkehr zu entziehen und für einen sicheren stadtviertelverbindenden Radverkehr umzuwidmen. Gefährliche Straßen wie Merkelstraße und Friedländer Weg seien als Einbahnstraßen in gegenläufiger Richtung mit sicheren Radverkehrsspuren auszuweisen. Auch Trittin sprach sich dafür aus, dem Radverkehr mehr Raumanteile in den Städten zu geben.

Das BfnS äußerte den Wunsch an die Grünen, den nach Jahrzehnten fast ununterbrochener CSU-Verkehrspolitik enorm gestiegenen Straßenverkehr in einer Regierungsbeteiligung wieder zu senken. Trittin stimmte dem zu und sprach sich dafür aus, Verkehr insgesamt zu reduzieren, auch Lastverkehr. Auf die Frage, wie dies in einem freien Markt bei derart gut ausgebauten Straßen zu bewerkstelligen sei, verwies Trittin auf eine erfolgreiche Strategie in der Schweiz, wo eine Lkw-Maut tonnagebezogen erhoben werde.

Dieses Mautsystem sollte auch in Deutschland Anwendung finden. Es ist sinnvoll und bewirkt, dass Waren nicht mehr über unnötig lange Strecken transportiert werden“, so Trittin. Güter würden wieder vermehrt auf die Bahn verlagert. Die Maut habe dort auch bewirkt, dass wieder kleinere Lastwagen zum Einsatz kommen: “Wir müssen insgesamt wieder zu leichteren Fahrzeugflotten kommen“.

Nach Ansicht der Göttinger Aktivisten brächte eine solche Lkw-Maut auch für die Innenstadt eine Entlastung, wo im Anlieferverkehr immer größere Wagen zum Einsatz kommen.

Maut ist in Göttingen kein Fremdwort, die Idee ist auch schon als Option zur Reduzierung von Kfz-Verkehr zum Naherholungsgebiet Kehr ins Spiel gebracht worden. Dabei war in einem Ratsantrag auch gefordert worden, die Mautgebühr an die Größe der Fahrzeuge zu koppeln. Der Vorschlag Trittins wurde von den Göttinger Teilnehmern begrüßt.


Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung (Der Vorstand)
Francisco Welter-Schultes, Lukas Flinzberger, Erika Lohe-Saul, Werner Schulze