PM: BfnS kritisiert Missachtung des Bürgerentscheids

Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung kritisiert die Missachtung des Bürgerentscheids zum Radverkehr.

Spätestens seit der Umweltausschuss-Sitzung vom 25.02.2025 ist klar: Die Stadt weigert sich, die Kernforderungen des mit 54 % angenommenen Bürgerentscheids vom Juni 2024 umzusetzen und damit dem Willen der Göttinger Bevölkerung zu entsprechen. 

Über 27.000 Menschen hatten dafür gestimmt, eine grundsätzliche Wende in der Göttinger Verkehrspolitik einzuleiten, Fahrrad und Auto auf vielbefahrenen Durchgangsstraßen zu trennen und hierfür Protected Bike Lanes einzurichten – und dort, wo der Raum nicht ausreicht, Einbahnstraßen auszuweisen. Als Beispiel wurde im Radentscheid 1 das System Friedländer Weg/Merkelstraße genannt, die vergleichbar mit vielen anderen Städten für den Autoverkehr als Einbahnstraßen in gegenläufiger Richtung geführt werden können. 

Konkret sollten bis 2030 pro Jahr 1,5 km Protected Bike Lanes entstehen, dazu sollten 2 Kreuzungen pro Jahr fahrradfreundlich ertüchtigt werden. Ebenfalls beschlossen wurde die Abschaffung aller sogenannten Bettelampelschaltungen (wenn Autos Grün bekommen, darf parallel die Fußgängerampel nicht Rot bleiben, sondern muss wie jahrzehntelang üblich, auch Grün erhalten).

Die einzelnen Beschlussteile des Bürgerentscheids richteten sich größtenteils an die Abteilung für Verkehrsplanung im Rathaus, die am 25.02.2025 in einer Tabelle ihre Prioritätenliste für die Zeit bis Ende 2027 vorgestellt hat. Daraus geht nun hervor, dass weder die Trennung von Fahrrad auf Auto auf Durchgangsstraßen mit Einrichtung von Protected Bike Lanes noch der Umbau der Kreuzungen eingeplant werden.  Planungen zu Protected Bike Lanes sind enthalten, beziehen sich aber nur auf kurze Abschnitte. Nach Mitte 2026 sind keine weiteren Planungen zu Protected Bike Lanes vorgesehen, gar keine für Einbahnstraßen. Was nicht geprüft wird, wird folglich auch nicht geplant und umgesetzt. 

Auf Nachfrage wirkte Baudezernent Frithjof Look fast hilflos, als er erklärte, ihm würden keine weiteren Strecken zu Protected Bike Lanes mehr einfallen, die Straßen seien zu eng.  Die Ausweisung von Einbahnstraßen würde den Raum schaffen, soll aber gar nicht erst geprüft werden. Mit der kritiklosen Zustimmung aller Ratsfraktionen zur Tabelle wurde 8 Monate nach dem Bürgerentscheid klargestellt, dass dessen Hauptforderungen nicht umgesetzt werden. Viele tausend Wahlberechtigte haben damit umsonst an der Abstimmung teilgenommen.

In einem weiteren Tagesordnungspunkt wurde zudem erläutert, die Abschaffung der Bettelampeln werde dort nicht umgesetzt, wo die Verwaltung eine dem Bürgerentscheid entgegenstehende Abwägung trifft und die Bedürfnisse des Autoverkehrs über die Sicherheitsbedürfnisse des Fuß- und Radverkehrs stellt. Die Abwägung unterliegt einer politischen Entscheidung. Die Bevölkerung hat in ihrer Abwägung dem Fuß- und Radverkehr den Vorzug gegeben und in Kauf genommen, dass Autos etwa 5-10 Sekunden länger warten müssen. Die Verwaltung respektiert diese Vorgabe kategorisch nicht und folgt, unterstützt von den Ratsfraktionen, ihrer eigenen politischen Abwägung. Diese bevorzugt den Autoverkehr.

Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung sieht darin Verstöße gegen das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG).  Eine Stadtverwaltung kann keine politische Abwägung treffen oder den Ratsfraktionen unterbreiten, die einem Bürgerentscheid widerspricht. Sie hat diesen Handlungsspielraum nicht und muss das ausführen, was der Bürgerentscheid verbindlich vorgibt. Tut sie es nicht, missachtet sie den demokratisch gefassten Beschluss der Bevölkerung. 

Oberbürgermeisterin Broistedt (SPD) hatte im Vorfeld Wahlkampf gegen den Radentscheid gemacht – nun lässt sie das gegen ihren Willen gefasste demokratische Votum nicht umsetzen. 

Die Parteien im Umweltausschuss stimmten der Planungsskizze bis 2027 einstimmig zu, sodass die Verwaltung nun so vorgehen wird.  Im Gesetz (NKomVG § 33 Absatz 6 Satz 2) steht jedoch, dass ein Bürgerentscheid innerhalb von zwei Jahren nur durch einen weiteren Bürgerentscheid aufgehoben werden kann, nicht einfach eigenmächtig durch die Verwaltung oder durch einen Beschluss der Parteien im Rat.

“Einen demokratisch gefassten Bürgerentscheid zu missachten, dessen Kernvorgaben einfach zu ignorieren und ihre Umsetzung nicht einmal zu prüfen, ist die größte Respektlosigkeit, die eine Verwaltungsspitze ihrer eigenen Bevölkerung entgegenbringen kann”, so Sigrid Runge, Mitglied des Vorstandes des BfnS.


Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen
– Der Vorstand –