Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung kritisiert das Umweltgutachten für das geplante Baugebiet in Nikolausberg.
Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen hält das von der Stadt in Auftrag gegebene Umweltgutachten für das geplante Baugebiet “Auf der Lieth” für ungeeignet, um als Grundlage für den vorgeschriebenen Umweltbericht zu dienen. Nach Ansicht des Bündnisses handelt es sich um ein Gefälligkeitsgutachten, das ausschließlich den Bedürfnissen kostengünstigen Bauens Rechnung trägt.
Die Stadt weigert sich bislang trotz einstimmigem Ortsratsbeschluss vom 24.03.2022, das Umweltgutachten im Ortsrat vorzustellen und die Ortsratsmeinung dazu anzuhören – mit der Begründung, sie sehe dafür keinen Grund. Dass die Verwaltung keinen Grund darin sieht, dass ein Ortsrat sich über eine aus Steuergeldern finanzierte Studie informieren will, findet das BfnS inakzeptabel. Nicht eine Stadtverwaltung, sondern ein Ortsrat entscheidet selbst, ob und warum er sich informieren will.
Das Niedersächsische Umweltinformationsgesetz (NUIG §3) zwingt die Stadt jedoch, Einsicht in das Dokument zu gewähren. Die Stadt wollte dem jedoch nur dadurch nachkommen, dass sie den Ortsratsmitgliedern einzeln anbot, im Rathaus das Umweltgutachten persönlich einzusehen. Dies hätte bis zu neun verschiedene Termine bedeutet, jeweils mit Arbeitsraum und der Anfertigung von Kopien.
Zwischenzeitlich hatte ein Informant, der kein städtischer Mitarbeiter war, dem BfnS das Umweltgutachten zugeschickt, sodass es hierdurch letztlich alle Ortsratsmitglieder erhielten, auch ohne Kooperation durch die Verwaltung. Eine vertrauensbildende Maßnahme zwischen der Verwaltung und dem Ortsrat war dies mit Sicherheit nicht.
Nach Prüfung kommt das BfnS zu dem Schluss, dass das unkooperative Verhalten der Verwaltung seine Gründe hatte. “Insgesamt wurde das Umweltgutachten so erstellt, dass das gewünschte kommunalpolitische Ziel der Bebaubarkeit des Plangebietes als Leitidee fungierte. Dabei wurden Fehler, Unvollständigkeiten und Ungenauigkeiten in Kauf genommen”, so Ortsratsmitglied Erhard Langkeit (BfnS).
Die methodischen Fehler und fragwürdigen Ergebnisse sind auch für Laien unübersehbar. So ermittelte das Fachbüro auf der hochwertigen Naturfläche zwischen Blühwiesen, Büschen, Hecken und Bäumen nur acht Vogelarten, deren Schutzstatus entgegen dem Standard nicht mit den Roten Listen abgeglichen wurde. Selbst auf dicht bebauten Grundstücken in der Kernstadt weisen Fachbüros weit mehr als doppelt so viele Vogelarten nach. “Nur acht Vogelarten aufzuführen, ist unseriös. Als Zoologe kann ich über so eine Arbeit nur den Kopf schütteln”, so Dr. Francisco Welter-Schultes (BfnS), Mitglied des Rates.
Dem BfnS liegt eine weitaus glaubwürdigere und aus der Nachbarschaft zusammengetragene Liste vor, die etwa 40 Vogelarten auf der Fläche nachweist, davon etliche mit Schutzstatus. Ein Umweltgutachten müsste analysieren, welche dieser 40 Vogelarten in Nikolausberg oder stadtweit beim Wegfall dieser Fläche ihre Lebensgrundlage verlieren würden.
Weiterhin wird verschwiegen, dass der gesamte südliche Teil des geplanten Baugebietes (ca. 50 % der Fläche) als “Sonstiges Mesophiles Grünland” seit dem 01.01.2021 landesweit unter einem gesetzlichen Schutz steht und diese Flächen räumlich direkt an das Naturschutzgebiet “Bratental” angrenzen und damit einen Biotopverbund bilden. Man kann diese Flächen nicht einfach durch anderes mesophiles Grünland ausgleichen, da es sich um sehr seltene Strukturen in Niedersachsen handelt. Weil er so selten ist, wurde dieser Biotoptyp landesweit unter Schutz gestellt.
Da die Stadt inzwischen keine Flächen mehr hat, um den Verlust solch wertvoller Biotope durch die Schaffung neuer Biotope auszugleichen, versucht sie es nun mit einem Trick. Der funktioniert so:
Eine Blühwiese im Nordteil des Plangebiets, die schon seit vielen Jahren einmal alle 5 Jahre umgepflügt und wieder mit Blühpflanzen bestellt wird, und die vom renommierten Umweltbüro Wette & Gödecke 2015 völlig korrekt als “Grünland” kartiert wurde, wird 2019 im Gefälligkeitsgutachten als niedrigwertiges “Intensives Ackerland” umdeklariert. Mit diesem Vorgang verliert die Fläche enorm an ökologischen Wertpunkten, die für die Ausgleichsmaßnahmen entscheidend sind. Dann wird diese Fläche, die nun nur noch wenige Wertpunkte hat, 2023 zur Hälfte mit einem Baugebiet überplant, und die andere Hälfte wird am Schreibtisch wieder in “Grünland” zurück deklariert – wo sie wieder sehr viele Wertpunkte gewinnt. Diese durch reine Schreibtischtätigkeit gewonnenen Punkte reichen aus, um rechnerisch den vorgeschriebenen Ausgleich für das verlorene “Sonstige Mesophile Grünland” im Süden des Plangebiets nachzuweisen, wobei außerdem noch nicht überprüft wurde, ob die angebliche Ausgleichsfläche von der Flächengröße ausreichend ist.
“Mit dieser Strategie gelingt es der Stadt, völlig legal, extrem kostengünstig und ohne jeden Ausgleich ökologisch wertvolle Landschaft im Außenbereich zu verbrauchen und in vollversiegelte Flächen zu konvertieren. Wir finden nicht, dass es in einer solchen Selbstbedienungs-Mentalität mit Naturzerstörung und Landschaftsverbrauch ewig so weitergehen kann”, so Langkeit und Welter-Schultes einhellig, zumal die Naturschutzbeauftragte ebenfalls hervorhebt, dass es inzwischen “unzeitgemäß” ist, die Versiegelung dem Naturschutz voranzustellen.
Das BfnS fordert, der Nordfläche einen Grünlandstatus als (insektenfreundlicher) Magerrasen auf trockenen Mineralböden zuzuweisen.
Eine weitere Schwachstelle im Umweltgutachten ist das Fehlen von Analysen klimatischer Aspekte, die sich aus den betroffenen Luftströmungen ergeben. Die Fläche ist als Kaltluftentstehungsgebiet bekannt – mit bislang kühlender Wirkung auf Teile von Weende an heißen Sommertagen, insbesondere auf die Krankenhäuser. Werden die Luftströmungen durch die Versiegelung gekappt, hat dies Einfluss auf die Temperaturen in Weende. Das Gesetz schreibt vor, solche Auswirkungen zu berechnen und im Umweltbericht festzuhalten. Fehlen die Analysen im Umweltgutachten, sind im Umweltbericht nur Allgemeinplätze zu erwarten.
Die Forderung des BfnS an die Verwaltung ist es nun, ein neues Umweltgutachten erstellen zu lassen, das für den ausstehenden Umweltbericht entsprechend korrigiert und vervollständigt wird.
Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen
– Der Vorstand –