Bündnis unterstützt Antrag zu Gutachten für
Nikolausberger Baugebiet “Auf der Lieth”
Das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung stellt sich hinter einen Bauausschuss-Antrag [1] des Abgeordneten Francisco Welter-Schultes (Piraten, tritt im Rat für das Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung an), das Umweltgutachten zum Baugebiet “Auf der Lieth” öffentlich im Bauausschuss vorzustellen. Außerdem soll die Wohnraumsituation gutachterlich neu bewertet werden, insbesondere aufgrund der aktuellen demographischen Entwicklung in der Stadt.
Aktiven des Bündnisses war im Ortsrat Nikolausberg am 18.03.2021 bei der Vorstellung des Bauvorhabens “Auf der Lieth” erstmals aufgefallen, dass die Verwaltung eine Blühfläche, die zur Hälfte überbaut werden soll, plötzlich als Acker bezeichnete. Auf eine daraufhin gestellte Anfrage im Bauausschuss vom 18.06.2021 wurde diese Klassifizierung “Kalkacker” noch einmal ausdrücklich bestätigt, mit Hinweis auf eine angebliche Fotodokumentation der Unteren Naturschutzbehörde vom Sommer 2020.
Zeugen aus Nikolausberg können jedoch mit Fotos gut belegen, dass die Fläche nicht nur im Sommer 2020, sondern schon seit Jahren nicht für Ackerbau, sondern als Blumenwiese genutzt wurde. Auch 2021 zeigt ein Blick auf die Bienenweide: So sieht kein Ackerbau aus.
2015 hatte das renommierte Büro Wette & Gödecke im Auftrag der Stadt die Fläche als “Intensivgrünland trockener Mineralböden” kartiert. Erst mit Beginn der Bauplanungen 2019 kartierte ein neues von der Stadt beauftragtes Gutachten dort einen “Kalkacker”. Das Bündnis BfnS vermutet dahinter ein Gefälligkeitsgutachten, um das Bauprojekt zu vereinfachen.
Der Hintergrund: Flächenverbrauch und Naturzerstörung dürfen schon lange nicht mehr ohne Ausgleich durchgeführt werden, was über ein Punktesystem geregelt wird. Die Stadt hat jedoch immer weniger Ausgleichsflächen. Ein Acker hat eine deutlich niedrigere ökologische Wertigkeit als Grünland.
Welter-Schultes erhebt schwere Vorwürfe gegen die Stadt:
“Die Vorgehensweise der Verwaltung ist skandalös: Eine Grünlandfläche wird als Acker umdeklariert und dann zur Hälfte versiegelt – und als Ausgleich wird die verbleibende Fläche wieder als Grünland zurück deklariert. Das schafft die nötigen Wertigkeitspunkte und man erhält auf die Weise kostenlose Naturzerstörung ohne jeden Ausgleich. Es kann nicht sein, dass die dem Baudezernat unterstellte Untere Naturschutzbehörde dazu missbraucht wird, mit solchen Taschenspielertricks den gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich für Naturzerstörung zu unterhöhlen.”
Das Bündnis fordert daher die Ausgliederung der Unteren Naturschutzbehörde aus dem Baudezernat. “Fachlich kann eine Umweltbehörde gar nicht so inkompetent sein, dass sie in einer Ortsbegehung eine Grünlandfläche nicht von einem Acker unterscheiden kann”, so Welter-Schultes. Derzeit ist das Baudezernat der UNB weisungsbefugt. Die UNB muss einen Acker feststellen, wenn das Dezernat sie dazu anweist.
Auch Bedarf für teure Komfort-Neubauwohnungen steht in Frage…
Das Bauprojekt “Auf der Lieth” steht auch aus einem zweiten Grund in der Kritik: Göttingens Bevölkerung schrumpft seit 2019 deutlich, was auch im Stadtbild immer sichtbarer wird. In der Nordstadt und in Nikolausberg stehen immer mehr Mietwohnungen leer.
“Standard und Preis der seit Monaten leerstehenden Mietwohnungen sind hier in Ordnung. Das Problem beim Vermieten ist der lange Weg in die Innenstadt sowie die schlechte Parksituation bei den Geschosswohnungsblocks “Auf der Lieth”, in denen etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung Nikolausbergs wohnt”, so Erhard Langkeit, Spitzenkandidat des Bündnisses für den Ortsrat Nikolausberg.
“Pandemiebedingt hat die Zahl der Fahrgäste auf den Linien 21 und 22 abgenommen, während der Autoverkehr von und nach Nikolausberg zugenommen hat. Das hat den Parkdruck nochmal verschärft – trotz leerstehender Mietwohnungen.”
Wie überall werden auch in Nikolausberg die meisten Neubauwohnungen im teuren Segment liegen – und die zu vermieten wird schon in der Kernstadt immer schwieriger. So gelingt es der Wohnungsgenossenschaft am Nikolausberger Weg schon seit Jahren nicht, komfortable 2-3-Zimmer-Neubauwohnungen mit Tiefgaragenplätzen zu vermieten. Sie versucht es mit Anzeigen auf Seite 1 im Göttinger Tageblatt.
“Der Name sagt es schon – der Nikolausberger Weg ist nur der Weg vom Zentrum nach Nikolausberg. Wenn schon dort die Neubauwohnungen nicht vermietbar sind, wie soll das dann erst in Nikolausberg selbst werden?”, fragt Welter-Schultes
In einem erneuten Gutachten dürfte noch deutlicher werden, dass es spätestens dann keinen Bedarf mehr an komfortablen teuren Wohnungen gibt, wenn die aktuell im Bau befindlichen über 1400 teuren Neubauwohnungen bezugsfertig sind und die Bevölkerung weiter abnimmt. Bereits 2016 hatte das GEWOS-Gutachten einen Bedarf von mehrenen 1000 Wohnungen im bezahlbaren Segment festgestellt. Dramatischen Bedarf nach diesen gibt es weiterhin – davon sind aber nur 300 im Bau. Das sind weniger als gleichzeitig dem Markt verloren gehen. Weitere 300 bezahlbare Wohnungen neu zu bauen ginge wirtschaftlich nur dann, wenn weitere 1400 teure Wohnungen gebaut werden – völlig illusorisch. Die Göttinger Wohnungspolitik steckt an dieser Stelle in einer Sackgasse.
“Die ganze Strategie bricht zusammen, wenn die Neubauwohnungen im teuren Segment nicht mehr vermarktbar sind. Die Tendenz muss endlich dahin gehen, dass dort, wo es momentan noch kostengünstigen Wohnraum gibt, Erhaltungssatzungen verabschiedet und Vorkaufsrechte für Miethäuser mit günstigen Mietwohnungen in Anspruch genommen werden. Für Neubau von Geschosswohnungen in Randlagen sehe ich heute keine Perspektive mehr, weder in Nikolausberg noch in Holtenser Berg”, so Welter-Schultes.
[1]: Bauausschuss-Antrag Welter-Schultes (PDF)
Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung Göttingen
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